Der Jakobstab, Winkelmessinstrument der alten Seefahrer


Vor einigen Jahren besuchte ich das Museum für antike Schifffahrt in Mainz. Auf einer Schautafel über Aufbau und Struktur der römischen Flotte hält der dort dargestellte Navigator einem Jakobstab in der Hand. Meines Wissens war zwar u. U. den Römern die Kugelgestalt der Erde bekannt, aber eine Breitenbestimmung durch Winkelmessung mit dem Jakobstab sicher nicht. Damals nahm ich mir vor zu versuchen dieses Rätsel zu lösen.
Aber zuerst zur Funktion des Jakobstabes oder Gradstockes, den die Engländer Cross Staff die Franzosen Arbalete und die Portugiesen Balestilha nennen.
Der Jakobstab (baculus jacob) ist ein einfaches trigonometrisches Gerät zur Winkelmessung zwischen zwei Punkten, also auch zwei Gestirnen oder Horizont und Gestirn. Auf einem ca. 70 cm langen hölzernen Hauptstab sind ein oder bis zu vier verschiebbare senkrecht stehende Querstäbe oder rechteckige Platten angebracht.

Jakobstab zerlegt

Der Navigator hält den Stab in Augenhöhe und verschiebt ein Querstück so lange bis der angepeilte Stern und Horizont von beiden Enden bedeckt wird. Auf einer Einteilung des Hauptstabes liest er den Stand des Querstücks ab.
Die halbe Länge des Querstabes dividiert durch den abgelesenen Wert ergibt den Tangens des halben gesuchten Winkels. Später versah man den Hauptstab mit einer bzw. bis zu vier Teilung, an der man den Winkel direkt ablesen konnte.


Gradeinteilung

Um nicht direkt in die Sonne zu schauen handhabte man ihn später auch rückwärts (Bild 4).

Die erste bekannte sachkundige Beschreibung stammt vom jüdischen Gelehrten Levi ben Gerson aus Bagnolos in Katalonien (1288-1344).
Die Kunde von dessen Beschreibung gelangte vermutlich 1384 durch Heinrich von Langenstein, Rektor der Wiener Universität über Paris nach Wien, wo sie dem Nürnberger Astronomen Johannes Müller genannt Regiomontanus zugänglich wurde.
Bei Gelegenheit des im Jahre 1472 erschienen großen Kometen, verfasste er eine Schrift in der er zur Messung des scheinbaren Durchmessers des Himmelskörpers, die Anleitung zum Bau eines Gradstockes gab.

Winkelmessungen

Später wird der Gradstock (Jakobstab) in der Schrift "L'Asia" über die Geschichte der Entdeckungen der Portugiesen im fünfzehnten Jahrhundert, von Jao de Barros (Araber in portugiesischem Dienst) erwähnt.
Er beschreibt wie Vasco da Gama in Ostafrika einem Mauren seine Astrolabien zeigt. Der Maure Matemo Cana wunderte sich darüber keinesfalls, sondern sagte, dass einige Steuerleute aus dem Roten Meer sich ähnlicher Instrumente bedienen und sie gebrauchen, wie diese die bei uns (Portugal) als "Gradstock" bekannt sind.
Wenn man in Betracht zieht, dass Levi ben Gerson, möglicherweise Enkel des Moses ben Nachman (Nachmanides), seine astronom. Kenntnisse auf Schriften der Universität von Cordoba (Kalifat von Cordoba) gründet, schließt sich der Kreis.
Darüber hinaus schreibt 1569 und 1580 "Petrus Ramus" mit Bezug auf die Arbeiten von Gemma Frisius, dass der Jakobstab das bequemste Instrument sei, und bevorzugt auf See angewandt würde. Es soll schon sehr alt, und noch von den Patriarchen erfunden worden sein. Schon Archimedes habe ein ähnliches Instrument erwähnt, ebenso Hipparch, Plinius, Virgil, dann der Araber Barros (Jao de Barros) und der Rabbiner Levi ben Gerson.

Die Erfindung des Gradstockes könnte demnach aus der griechisch arabischen Welt stammen. Als die Kalifen Alexandria eroberten, und die berühmte Bibliothek verbrannten, übernahmen sie sicherlich das astronomische und kartographische Erbe der Griechen. Vor allem die strategisch wichtigen nautischen Unterlagen, Karten und Segelanweisungen, waren für sie von Bedeutung.
In der Folgezeit entwickelten sich die Maueren/Sarazenen zu hervorragenden Astronomen. So haben noch heute viele Fixsterne arabische Namen (z.B. Benetnasch, Beteigeuze, Schedir).
An der Universität von Cordoba arbeiteten gelehrte Sarazenen, Juden, und Christen einträchtig zusammen, während in der christlichen Welt alle Andersgläubigen und Weltbildveränderer als Ketzer verurteilt wurden. Vor allem die jüdischen Gelehrten übersetzten viele Schriften vom Arabischen ins Lateinische.

Erstaunlich ist nun allerdings, dass bei den portugiesischen und spanischen Entdeckern, wie da Gama, Batholomäus Dias und Christhoph Kolumbus zur Breitenbestimmung keinesfalls der Jakobstab benutzt wurde, und auch nicht an Bord vorhanden war. Zur Breitenbestimmung bedienten sich die Piloten also, obwohl der Jakobstab ihnen bekannt sein musste, noch lange des Astrolabiums (arabisch/griech. Erfindung) oder des einfacheren Quadranten. Im Tagebuch des Kolumbus liest man, das zu genauen Messungen mit dem Astrolabium zuerst Land aufgesucht werden musste.


Astrolabium Quadrant
Astrolabium
Quadrant

Erstmals verwendete man beim Jakobstab als Bezugssystem für Sternen/Sonnen- Höhen den Horizont (Kimm), beim Astrolabium und Quadrant die Schwerkraft der Erde (Lot).Dieses Horizontsystem macht genauere Messungen vom schwankenden Deck eines Schiffes möglich. Aber erst 1568 findet sich dann im "indischen Büro" zu Sevilla ein Eintrag (Balestilla) im amtlichen Instrumentarium für Seeschiffe.
Obwohl der Jakobstab bereits 1433 von Paolo Toscanelli (1397 - 1482) erfolgreich zur Ortsbestimmung eines Kometen verwendet worden war, konnte er sich in der Seefahrt, trotz der erheblichen Vereinfachung im Gebrauch durch Regiomontanus, erst ab dem 16. Jahrhundert durchsetzen.

Ein Grund für die zögerliche Einführung war sicher die Tatsache, dass man mit ungeschütztem Auge in die Sonne und blicken und gleichzeitig den Horizont anpeilen musste. Später benutzte man den Cross Staff rückwärts (Bild 4). Die Engländer nannten den Jakobstab deshalb auch Back Staff.
Dieses recht einfach herzustellende trigonometrisches Gerät wurde dann im 18. Jahrhundert durch den 1731 von J. Hadley konstruierten (erfunden 1699 durch I. Newton) Spiegeloktanten abgelöst.

Sextant v.Isaak Newton 1599

Den Römern konnte also durchaus der Jakobstab als ein Hilfsmittel in der Astronomie bekannt gewesen sein. Aber zur sinnvollen Nutzung auf See, Bestimmung der geographischen Breite, fehlten ihnen entscheidende astronomisch- geographische Grundlagen. Brauchbare Tabellen für die Sonnendeklination wurden erst 1468 (Tabula primi mobilis) von Regiomontanus herausgebracht. Die Darstellung eines Jakobstabes auf der Schautafel im Museum für antike Schifffahrt kann also nur der künstlerischen Eingebung eines Grafikers entsprungen sein.
Dieser Fehler entspricht mindestens der Darstellung von Kolumbus mit einem Sextant von 1731 während seiner ersten Entdeckungsreise im Jahre 1492.

Der Nachbau eines Jakobstabes von Wilhelm Dorenbusch, ist beim Arbeitskreis Norderney der Wilhelm-Dorenbusch-Sternwarte auf Norderney zu besichtigen.


Manfred Iffland März 2001